Wie gelingt ein kreatives Leben? Matze Hielscher wollte es genau wissen und lud deswegen über hundert Künstlerinnen, Autoren, Schauspielerinnen und andere kreativen Köpfe in seinen Podcast Hotel Matze ein, um sie über ihre Gewohnheiten und Lebensweisheiten auszuquetschen. Ihre interessanten Gedanken schrieb er anschließend für Die Schule meines Lebens (2020) auf – und ich stelle dir in diesen Blog wiederum einige seiner besten Gespräche vor.
Über den Autor
Matze Hielscher hat schon in diversen kreativen Berufen gearbeitet. Seine Karriere begann er als Bassist der Indie-Band Virginia Jetzt!. Anschließend gründete er das digitale Stadtmagazin Mit Vergnügen. Mitte der 2010er-Jahre entdeckte Hielscher Podcasts für sich – natürlich musste er auch in dieses Genre selbst einsteigen. Heute ist sein Podcast Hotel Matze einer der meistgehörten in Deutschland. Als Folge daraus entstand schließlich auch sein erstes Buch, Die Schule meines Lebens.
Lernen, wie du in einem künstlerischen Beruf glücklich werden kannst.
Matze Hielscher war alles andere als ein guter Schüler. Mit Ach und Krach schaffte er es zur Mittleren Reife. Deshalb glaubte er, nicht gut im Lernen zu sein. Dennoch sollte er in seinem Berurfsleben eine populäre Band sowie das Stadtmagazin Mit Vergnügen gründen. Das digitale Magazin war so erfolgreich, dass Hielscher ins Grübeln kam: Vielleicht war er doch nicht so schlecht im Lernen. Er hatte schließlich ständig dazugelernt – wie man eine Tour plant, ein Unternehmen gründet, eine Redaktion leitet. Und dafür brauchte Hielscher keinen Frontalunterricht, sondern einfach nur Freunde, die ihre Erfahrungen mit ihm teilten.
Mit dem Wunsch, diese Schule des Lebens auszudehnen, begann Hielscher den Podcast Hotel Matze. Für ihn befragte er über die Jahre zahllose Autoren, Musikerinnen, Regisseure und andere Kreative, um von ihnen zu lernen, zum Beispiel, wie sie die viel zitierte Work-Life-Balance hinbekommen. In diesem Artikel zu Die Schule meines Lebens (2020) erfährst du die prägnantesten Geschichten von Hielschers Gästen.
Unter anderem lernst du,
- dass es Doris Dörrie gelingt, pro Jahr etwa einen Film und einen Roman fertigzubringen,
- wie die stellvertretende Zeit-Chefredakteurin Sabine Rückert ihr Team führt und
- welche Weisheit Christian Ulmen zu Beginn seiner Karriere bei MTV in London gelernt hat.
Für die Autorin und Dramatikerin Sibylle Berg ist Mittelmäßigkeit eine Befreiung.
Nachdem Matze Hielscher Sibylle Bergs jüngsten Roman GRM – Brainfuck gelesen hatte, war er deprimiert und zugleich beeindruckt. Der Roman ist in einer nahen Zukunft angesiedelt, in der fast alle europäischen Staaten autokratisch regiert werden – keine unmögliche Dystopie, wenn man sich heutige politische Entwicklungen ansieht. Um so viel Weltgeschehen in einen Roman packen zu können, dachte Hielscher, muss eine Schriftstellerin erst einmal irre viel über die Welt wissen wollen. Woher kommt dieses Interesse?
Sibylle Berg hat eine Erklärung für ihn: Mehr als alles andere treibt sie der Wunsch an, so viel wie möglich von der Welt zu verstehen. Mögen andere an Spielsucht leiden, hat Berg eine „Verstehenssucht“. Doch um sich wirklich für alles zu interessieren, musste sie erst lernen, sich weniger für sich selbst zu interessieren. In den frühen Zwanzigern neigen wir dazu, alles auf uns zu beziehen. Du hast das Gefühl, ständig genau beobachtet zu werden, und musst deswegen alles richtig machen, cool aussehen und noch mehr. Auch Berg ging es so. Doch dann merkte sie irgendwann, dass sie der Welt egal war – ganz einfach, weil alle anderen ebenso zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren.
Zunächst klingt das nach einer recht deprimierenden Einsicht: zu merken, dass man den anderen oft ein Stück egal ist. Für Sibylle Berg stellte sie aber eine riesige Erleichterung dar. Sie musste sich jetzt nicht mehr um sich selbst drehen, sondern konnte ihr Augenmerk auf alles andere richten. Das Weltgeschehen analysiert Berg nun aktiv, sich selbst aber nicht. Sie ist sich gar nicht so sicher, wer sie ist und wie sie auf andere wirkt.
Auch die Erkenntnis, dass man nur selten besser als mittelmäßig sein kann, nimmt einem viel Last ab. Mittelmäßigkeit hat in unserer Gesellschaft einen sehr schlechten Ruf – zu Unrecht. Berg vergleicht sich beispielsweise hin und wieder „aus Versehen“ mit Wissenschaftlerinnen, die an künstlicher Intelligenz forschen, und merkt: Das könnte sie selbst niemals.
Der Gedanke, dass nur wenige Menschen wirklich genial sind, bringt Berg jedoch nicht dazu, sich klein zu fühlen, sondern er beruhigt sie. Schließlich hat nicht jeder Ideen, die die Welt verändern. Viel mehr als das, was man kann, gut zu machen, muss man gar nicht leisten. Und das ist doch schon eine ganz schöne Befreiung.
Fotograf Paul Ripke beweist, dass man sich bei der Qual der Wahl auch einfach für beide Optionen entscheiden kann.
Paul Ripke ist einer der wenigen deutschen Fotografen mit Wiedererkennungswert. Was hebt ihn von anderen ab, was macht ihn zum Beispiel zum einzigen Fotografen, der beim WM-Sieg der deutschen Nationalmannschaft mit auf den Rasen durfte?
Zum einen könnte es daran liegen, dass Ripke schon immer jemand war, der gern vier Treppenstufen auf einmal nimmt. Am liebsten geht er gleich mehrere Sachen zur selben Zeit an. Die meisten seiner Freunde brachten etwa erst brav den Zivildienst hinter sich, um dann mit dem Studium zu beginnen. Nicht so Ripke. Als er erfuhr, dass er per Losverfahren fürs BWL-Studium in Hamburg zugelassen worden war, dachte er sich: „Ich bin jung, gesund und stehe mitten im Saft. Wieso mache ich nicht einfach beides?“
Seinen Zivildienst in Heidelberg legte er dann so, dass er im Schichtdienst von Donnerstag bis Sonntag arbeiten konnte. Jeden Sonntagabend fuhr er dann um 19.12 Uhr nach Hamburg, um dort von Montagmorgen bis Mittwochabend zu studieren.
Wenn du das nächste Mal vor der Qual der Wahl stehst, könntest du also einfach den Ripke-Weg gehen. Und sehen, wohin dich der Weg führt.
Ripke sticht nicht nur mit seinem übergroßen Tatendrang unter Fotografen hervor. Was ihn ebenfalls von anderen unterscheidet: Ihm liegt wenig daran, sich beim Fotografieren in den Mittelpunkt zu stellen. Viele Fotografen nehmen sich, sagt er, selbst zu ernst und zu wichtig. Wer Ripke kennt, mag sich hier wundern, schließlich drängt er sich gern auch selbst nach vorn, rappte mit Marteria und betreibt zusammen mit dem Moderator Joko Winterscheidt einen eigenen Podcast. Ripke trennt aber zwischen Ripke, dem Unterhalter, und Ripke, dem professionellen Fotografen.
Wenn er als Fotograf arbeitet, sieht er sich als Dienstleister, der in der Hauptsache dafür da ist, das Beste aus seinem Objekt herauszuholen. Anstatt sich zu fragen: Was sind die besten Aufnahmen für mich, steckt Ripke viel Zeit in die Frage, was den Menschen ausmacht, den er porträtiert. Von dem möchte Ripke auch erfahren, was dieser von ihm will. Und das sind, neben dem Fakt, dass jeder auf Fotos möglichst gut aussehen möchte, oft schlichtweg praktische Dinge. Dass er zum Beispiel schon zwei Stunden nach dem Shooting drei, vier Instagram-fertige Bilder versendet.
Die sind dann vielleicht noch nicht ganz perfekt bearbeitet. Aber fürs rasche Posten sind sie doch weit mehr wert als die dicken Datenpakete mit den hochwertig produzierten Fotos, die manchmal auf Filesharing-Diensten liegen bleiben, bis der Download-Link verfällt.
Die Autorin und Regisseurin Doris Dörrie hat erkannt, dass es beim Schreiben hilft, den Kopf auszuschalten.
Doris Dörrie hat einen unglaublichen Output. Die Regisseurin und Autorin hat in ihrer Karriere über dreißig Bücher geschrieben und bei mindestens ebenso vielen Filmen Regie geführt. Zu ihren bekanntesten zählen unter anderem Männer und Nackt. Matze Hielscher trieb daher vor allem eine Frage um: Wie, bitte schön, ist man über einen so langen Zeitraum so produktiv?
Eine von Dörries wichtigsten Regeln beim Schreiben klingt zunächst kontraintuitiv. Sie lautet: Nicht nachdenken! Natürlich kann niemand von uns überhaupt nicht nachdenken – das gelingt allerhöchstens den erfahrensten Meditationsmeistern. Dörrie meint mit „Nicht nachdenken!“ beim Schreiben vielmehr, das, was sie gerade schreibt, nicht schon im selben Schritt zu bewerten. Wenn du zu früh damit beginnst, unterbrichst du deinen kreativen Gedankenflow. Für Selbstkritik ist später noch genug Zeit.
Einher mit dieser Regel geht eine weitere, die zunächst widersinnig scheint: Wenn du schreibst, solltest du erst einmal keine Qualität produzieren wollen. Wer von Anfang an mit dem Gedanken an einen Text geht, dieser müsse der nächste große Wurf werden, steht sich selbst im Weg. Der unbedingte Wille, Qualität produzieren zu wollen, erzeugt nämlich vor allem eines: Druck. Und dieser Qualitätsdruck verbessert den Text meistens nicht, sondern hemmt seine Entstehung.
Schön und gut, aber das erklärt noch nicht ganz, wie es Dörrie gelang, mehr oder weniger jährlich einen Film sowie einen Roman zu veröffentlichen. Auch was ihren Output betrifft, hat Dörrie gute Tipps. Der erste lautet: Beginne deinen Tag mit etwas Kreativem. Die ersten zehn Minuten des Tages sind für Dörrie oft die beste Zeit zum Schreiben – was unter anderem daran liegt, dass der innere Kritiker hier sowieso noch im Halbschlaf liegt. Sie muss ihn gar nicht erst unterdrücken. Anstatt morgens gleich deine Mails, Twitter und Spiegel Online zu öffnen – wie wäre es, wenn du stattdessen erst mal dein Notizbuch aufschlägst?
Der nächste Trick klingt beinahe zu einfach, um wahr zu sein. Er lautet: Lerne, dass du immer und überall schreiben kannst! Zehn Minuten, bis die Pasta al dente gekocht ist? Da lassen sich schon ein, zwei Absätze schreiben. Fünfundzwanzig Minuten, bis die Lasagne aus dem Ofen muss? Umso besser! Doris Dörrie lernte vor allem als Mutter, jede noch so kleine Pause für ihr Schreiben zu nutzen.
Das Tolle: Sobald sie es sich zur Routine gemacht hatte, jede noch so kurze Möglichkeit zu nutzen, fand sie bald jeden Tag mehr Gelegenheiten für ihre Kleinst-Schreibeinheiten.
Regisseur Christian Ulmen zeigt, wieso Pannen für Künstler oft ein Segen sind.
Christian Ulmen hat schon in diversen kreativen Berufen gearbeitet. Und doch erkennt man überall seine Handschrift wieder. Was macht ihn so besonders, was macht ihn anders als andere?
Ulmen ist gewiss nicht angstfrei. Wie jeder Neurotiker hat er hie und da seine Phobien. Doch vor einer Sache, die anderen Moderatoren oder Regisseuren schlaflose Nächte bereitet, fürchtet er sich nicht, und das sind Pannen. Ulmen lernte schon früh, dass Unvorhergesehenes eigentlich eher eine Einladung ist, kreativ zu werden.
Zu Beginn seiner Karriere arbeitete er in London am Launch der Show MTV Hot mit. Das Problem: Alle Studios waren besetzt. Es gab nur noch einen winzigen Raum im damals noch sehr überschaubaren MTV-Hauptquartier. Der war, wie erst kurz vor Drehbeginn auffiel, sogar so klein, dass er gar nicht ins Kamerabild passte. So kam dem Team dann aber plötzlich die Idee, eine Fingerkamera mit einem „Froschaugenobjektiv“ zu verwenden – was der Show einen coolen und eigenen Look gab.
Diese Spontaneität und Offenheit hat Ulmen auch in seiner heutigen Arbeit als Regisseur beibehalten. Weil er keine Angst vor Pannen hat, ist er auch kein Kontrollfreak. Von vielen Filmschaffenden, die an Ulmens jüngster Serie jerks. mitgearbeitet haben, hörte Matze Hielscher nur Gutes. Ulmen schafft eine angenehme, produktive Arbeitsatmosphäre, indem er Menschen tatsächlich ihren Job machen lässt. Statt der Ausstatterin und dem Kameramann reinzureden, sagt er: „Mach du das mal ganz genau so, wie du es dir vorstellst!“
Für sich selbst beansprucht Ulmen jedoch auch die Freiheiten, die er anderen gern gewährt. Bei jerks. etwa steht er nicht nur vor der Kamera und führt Regie, er ist außerdem für den Schnitt verantwortlich. Wenn Ulmen alles allein macht, kann das allerdings zur Folge haben, dass das Endprodukt zu subjektiv wird und nur ihm selbst gefällt. Ulmen weiß diesem Problem aber zu begegnen – er schaut sich beim Editieren jede Szene aus verschiedenen Perspektiven an.
Diesen Perspektivwechsel kennst du sicher auch von dir selbst. Stell dir vor, deine Mutter besucht dich spontan. Plötzlich kommt dir deine Wohnung unordentlich vor, weil du sie nun auf einmal aus der Perspektive deiner Mutter siehst. So kommt es, dass Ulmen sich eine Szene manchmal zwanzigmal hintereinander ansieht, jedes Mal aus einer anderen Perspektive. Wenn die Szene dann für seine Frau, seinen Produzenten und seine Mutter gleichermaßen funktioniert, dann ist sie gelungen. Aus all den verschiedenen Betrachtungswinkeln ergibt sich nämlich so etwas wie eine objektive Perspektive.
Von dem Musiker Bosse kannst du lernen, dass es okay ist, Kunst nach der Stechuhr zu produzieren.
Künstlerklischees gehören zu den hartnäckigsten Vorurteilen. Viele Menschen denken beim Künstlerleben immer noch spätes Aufstehen und eine unordentliche Wohnung, durch die halb leere Rotweinflaschen kullern. Dabei müssen gerade Künstler oft sehr organisiert sein, um nicht inmitten ihrer vielen Ideen und Entwürfen verloren zu gehen.
Das ist auch eine Erfahrung, die Hielscher gemacht hat: Die meisten Künstler, die er traf, waren Fans von klaren Schaffensregeln. So zum Beispiel der Musiker Bosse. Bosse ist eigentlich bekannt für seine zwischen Euphorie und Melancholie schwebenden Texte. Jetzt denkst du vielleicht: Dahinter muss bestimmt jemand stecken, der sich von seinen Gefühlen durch den Tag treiben lässt und immer nur dann zur Gitarre greift, wenn er „es“ gerade spürt. Mitnichten.
Bosses Idealvorstellung von einem erfüllten, kreativen Tag fand er bei einem befreundeten Maler. Der steht täglich um fünf Uhr auf, entwirft dann nach einem Kaffee anderthalb Stunden, anschließend malt er, nach eigenen Worten, bis zehn Uhr einfach nur noch aus. Dann Fahrrad fahren. Eine Kleinigkeit zu Mittag. Ausruhen, Nickerchen. Und frisch erholt weiter.
Bosse ist sich klar, dass das auch der Tagesablauf eines nach der Stechuhr getakteten Beamten sein könnte. Doch für ihn geht es kaum besser – denn Struktur bedeutet eigentlich Freiheit. Wäre da nicht seine Tochter, die morgens zur Schule gebracht werden will, er würde die Routine des Malers eiskalt kopieren.
Bosse selbst könnte gar nicht mehr arbeiten, ohne moderne Organisationsmittel zu nutzen – auch wenn das wiederum nicht ins Bild des melancholischen Sängers passt. Er ist etwa dankbar dafür, dass er auf seinem iPhone die Notiz-App hat, und muss sich oft fragen, wie viele Beatles-Hits uns wohl verwehrt geblieben sind, weil John Lennon irgendwo Notizzettel mit drei, vier genialen Zeilen aus der Hosentasche gerutscht sind.
Bosse schickt sich Songideen selbst per Mail und packt sie anschließend in nach Themen und Begriffen sortierte Ordner. Eine riesige Erleichterung für jemand, der früher die halbe Zeit auf der Suche nach Ideen war, von denen er sicher war, dass er sie irgendwann irgendwo schon mal aufgeschrieben hatte. Was für eine Vergeudung! Nur weil er noch die falsche Vorstellung hatte, Ordnung würde seiner Kreativität und den tief empfundenen Texten im Wege stehen.
Journalistin Sabine Rückert zeigt, dass man keine Führungsseminare besuchen muss, um eine Zeitung zu leiten.
Auf Sabine Rückert stieß Matze Hielscher, weil sie selbst einen der meistgehörten deutschen Podcasts betreibt. In Zeit Verbrechen nimmt Rückert im zweiwöchentlichen Rhythmus besonders schockierende Verbrechen unter die Lupe.
Der Podcast ist allerdings nicht ihre Hauptaufgabe bei der Wochenzeitung Die Zeit. Denn sie ist dort auch und vor allem stellvertretende Chefredakteurin. Und das ist, wie du dir vorstellen kannst, sicherlich kein leichter Job. Wie gelingt es ihr, über hundert Redakteure Woche für Woche so zu motivieren, dass sie eine tolle Zeitung abliefern?
Kurz gesagt, indem sie eine persönliche Bindung zu ihnen eingeht und ihnen den Rücken freihält. Rückert hat nie ein Führungsseminar belegt und kommt sich noch nicht einmal vor wie eine Chefin. Den besten Führungsstil, den sie kennt, hat sie sich bei ihrer Mutter abgeschaut, die in ihrem eigenen Unternehmen unter anderem eine Putzkolonne leitete. Rückert beeindruckte am Führungsstil ihrer Mutter, dass sie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kannte und sich ernsthaft für jeden Menschen interessierte.
Möglichst nah bei ihren Leuten zu sein ist heute auch die Grundlage für Rückerts eigenen Führungsstil. So erkannte sie, dass sie ihr Team gar nicht führen musste. Wenn sie die Menschen machen ließ, waren sie von sich aus überaus motiviert, wöchentlich eine tolle Zeitung zu produzieren. Als Führungspersönlichkeit passt sie lediglich auf ihre Mitarbeiter auf – und darauf, dass sie alle Freiheiten haben, so zu arbeiten, wie es ihnen liegt.
Bei der Zeit begann Rückert als Gerichtsreporterin. Sie war damit geradezu prädestiniert dafür, einen Podcast über Verbrechen zu starten. In ihren Podcasts wirkt sie wie die Ruhe in Person. Sie hat die Gabe, selbst bei grausamen Verbrechen wie Vergewaltigung oder Kindesmord sachlich zu bleiben und trotzdem warm und mit Empathie zu sprechen. Doch das war nicht immer so. Rückert war in ihrer Jugend viel mit sich selbst beschäftigt. Sie fand sich zu stachelig und fragte sich andauernd, wieso sie nicht so recht zu den anderen dazuzugehören schien.
Heute ist Rückert dagegen erfüllt. Sie hat sich in einem gewissen Maße auch glücklich gearbeitet: Indem sie sich in die Arbeit stürzte und über andere Menschen schrieb, drehte sich nicht mehr alles um sie und ihre Probleme.
Schauspielerin Nora Tschirner lehrte Hielscher, wie wichtig Auszeiten gerade in kreativen Berufen sind.
Matze Hielscher kannte Nora Tschirner schon eine Zeit lang, bevor er die Schauspielerin zum Podcast einlud. Auch wenn sie sich nur sporadisch trafen, wusste er ein paar Dinge über sie. So bewunderte er etwa an ihr, mit welcher Leichtigkeit sie regelmäßig Premierenveranstaltungen oder Werbedeals absagen konnte. Auch bis sie zusammen einen Podcast aufnehmen konnten, brauchte es eine Weile. Aus der „nächsten Woche“ wurde bald ein halbes Jahr. Klar, dass Hielscher von ihr wissen wollte, wie sie das macht: Nein sagen.
Was Hielscher nicht wusste, war, dass Nora Tschirner in Wirklichkeit gar nicht so gern Nein sagt, sondern es schlichtweg aus Selbstschutz tut. Sie erlitt nämlich einen Burn-out. Eines Morgens bemerkte sie in der Maske plötzlich, wie es tropfte. Erst nach einem Moment sah sie im Spiegel, dass sie weinte – einfach so, unkontrolliert.
Gerade Menschen, die in kreativen Berufen arbeiten, laufen häufig Gefahr, nicht zu wissen, wann Schluss ist. Und übersehen so eine drohende Erschöpfung. Tschirner etwa erkannte gar nicht, dass sie zu viel arbeitete, weil sie ständig das Gefühl hatte, das, was sie mache, sei gar keine Arbeit und sie könne dementsprechend auch nicht erschöpft sein.
Hinzu kam bei ihr die Vorstellung, sie solle sich mal nicht so anstellen. Ausgerechnet sie wolle sich beschweren – was sollen dann erst Leute sagen, die in einem „richtigen“ Job arbeiten? „Du reißt dich jetzt zusammen“, sagte sie sich. Im Endeffekt führte dieses Denken aber nur dazu, dass sie wie eine Profisportlerin ohne Pause immer nur weiterpowert.
Ein Schreiner hat zum Feierabend einen Tisch fertig. Ein Schauspieler hat in der gleichen Zeit vielleicht nur zwei Szenen geprobt. Da fehlt das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Inzwischen hat Tschirner aber gelernt, zufriedener mit ihrem Tagewerk zu sein – auch wenn da kein Möbelstück steht, auf das sie stolz sein kann. Schwer fiel es ihr, wieder zu lernen, auf ihren Körper zu hören. Eigentlich dachte sie, eine zweimonatige Pause würde ihr genügen, um nach dem Burn-out wieder auf die Beine zu kommen.
Doch dabei blieb es nicht. Am Ende nahm sie ein halbes Jahr Auszeit – erst mit diesem Zeitraum im Hinterkopf konnte sie loslassen. Früher wäre das unvorstellbar für sie gewesen. Doch dann machte sie es einfach – und siehe da, niemand hatte es ihr übel genommen. Alle waren noch da.
Zusammenfassung
Die Kernaussage dieses Blog ist:
Matze Hielscher hat weit über hundert Podcastfolgen mit kreativen Menschen produziert und dabei die unterschiedlichsten Dinge erfahren. Besonders die kontraintuitiven Einsichten haben sich ihm eingeprägt. Von der Autorin Sibylle Berg erfuhr er etwa, dass es befreiend sein kann, die eigene Mittelmäßigkeit anzuerkennen. Der Musiker Bosse machte ihm klar, dass man sich die Möglichkeiten der Technik nicht wegen romantischer Vorstellungen vom Künstlerdasein versagen muss. Und von der Schauspielerin Nora Tschirner lernte er, wie wichtig es gerade für kreative Menschen ist, ihre Arbeit, die häufig im Kopf stattfindet, selbst wertschätzen zu lernen. Denn ansonsten droht der Burn-out.
Backoffice-Bearbeitung: Nadja Mondy
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